Kaffee und Zigaretten, von Ferdinand von Schirach

Die Würde des Menschen ist die strahlende Idee der Aufklärung, sie kann den Hass und die Dummheit lösen, sie ist lebensfreundlich, weil sie von unserer Endlichkeit weiß, und erst durch sie werden wir in einem tiefen und wahren Sinn zu Menschen.


Zu Ferdinand von Schirach kam ich über sein Buch “Verbrechen”. Irgendwo stolperte ich über den Namen dieses Buches und natürlich kannte ich die Familie von Schirach aus der deutschen Geschichte. Ferdinand von Schirach selbst war mir jedoch kein Begriff und so googelte ich ihn und fand schnell heraus, daß er der Enkel Baldur von Schirachs ist, des “Reichsjugendführers” im nationalsozialistischen Deutschland.

Nun ist der Nationalsozialismus ein Thema, das mir persönlich sehr wichtig ist. Ich bin 1975 geboren und so ist es vollkommen klar, daß ich keine Schuld an den Verbrechen der Nazis trage.

Ich bin aber in Deutschland als Deutscher geboren und so trage ich – mit allen anderen Deutschen zusammen – eine historische Verantwortung, die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und eben keinen Schlußstrich oder ähnliches zuzulassen. Werden wir nämlich Geschichtsvergessen, tragen wir eine Mitschuld, sollte sich diese wiederholen.

Bis heute jedoch ist mir die “Motivation” für den millionenfachen Mord völlig unbegreiflich. Ich kann nicht nachvollziehen, wie es Menschen möglich war, sich an Planung und Umsetzung solcher Taten zu beteiligen bzw. diese gar zu beginnen.

Die Hauptschuldigen sind alle tot, die kleineren “Räder im Getriebe”, Hanning, Gröning und wie sie alle heißen, haben auch keine Antworten und die Angehörigen der Haupttäter schweigen zumeist.

So kam es, daß ich “Verbrechen” las, in der Hoffnung, mehr über Baldur von Schirach zu erfahren. In dieser Hinsicht wurde ich enttäuscht. Allerdings zog mich der Stil Ferdinand von Schirachs, seine unemotionale Erzählweise und seine Themen sofort in seinen Bann, in dem ich bis heute dankbar gefangen bin.

Ich habe seither alle Bücher von Schirachs gelesen und er gehört für mich zu den großen Autoren des noch jungen 21. Jahrhunderts. Das Rechtsverständnis und –Empfinden eines Ferdinand von Schirachs und der zugrundeliegenden Ideen sind unwahrscheinlich menschlich und menschenfreundlich, ohne dabei rührselig oder emotional zu werden. Das Recht wird als unveräußerliches Gut, das einem jeden Menschen zusteht, wahrgenommen.

Persönliches bleibt allerdings bei von Schirach nahezu vollständig außen vor. Es kommt, wie Privates, nicht vor. Das ist nicht schlimm, denn seine Bücher “sprechen” für sich selbst und werden ihren Autor überdauern.

Dies sind die Prämissen aller Bücher von Schirachs – bis zu “Kaffee und Zigaretten”, dieser Sammlung von kurzen Erzählungen, persönlichen Erzählungen und winzigen Einblicken ins Private.

Stilistisch entspricht auch das vorliegende Buch ganz seinen Vorgängern – direkte, klar Sprache, unmittelbar erzählt, manchmal mit feiner Ironie und dezenten Humor “angereichert”.



In 48 “Kapiteln” ist natürlich nicht alles Gold, was glänzt: Nicht alle Kapitel haben mich angesprochen, manche haben mich gar ratlos (aber nie verständnislos!) zurückgelassen. Andere dagegen, z. B. Kapitel 18, in dem es um die Würde des Menschen und zeitlose Grundideen des Rechts geht, haben mich zutiefst berührt.

Nicht deswegen, weil diese Ideen so neu wären (im Gegenteil, manche sind 3000 Jahre alt, wie von Schirach selbst schreibt), sondern weil nur ein Ferdinand von Schirach es fertigbringt, diese Ideen so einfach, klar und direkt ins 21. Jahrhundert zu übertragen.

Wenn wir heute Minderheiten nicht schützen – ganz gleich, ob es Juden, Migranten, Asylbewerber, Homosexuelle oder andere sind –, fallen wir wieder zurück ins Dumpfe und Dunkle.

Auch die Analysen der früheren RAF-Verteidiger, Otto Schily, Christian Ströbele und Horst Mahler, sind äußerst interessant zu lesen…

Auf einer Tonbandaufnahme ist Schily zu hören. Er brüllt durch den Saal: »Wir führen gegenüber der Macht das Argument des Rechts ins Feld.« Ich kenne keinen anderen Anwalt, dem spontan solche Sätze gelingen.

… und von Schirachs Schlußfolgerungen ebenso zutreffend wie amüsant, so z. B. über Ströbele:

Ich würde ihm ohne Zögern meine Brieftasche und meine Wohnungsschlüssel anvertrauen. Aber Schily würde ich als Verteidiger wählen.


Vieles von dem, was Ferdinand von Schirach schreibt, trifft mich bis ins Mark – und in manchen Fällen, weiß ich nicht einmal wirklich warum. Vielleicht habe ich in von Schirachs Werk so etwas wie “Heimat” gefunden, passend jedenfalls wäre es:

»Fehlt dir das alles nicht?« Harold dachte nach. In seinem Gesicht sah ich jetzt den jungen Mann wieder, der er damals war. »Ich glaube nicht, mein Lieber«, sagte er nach einer Weile. »Nein. Heimat ist kein Ort, es ist unsere Erinnerung.«


Und auch über Baldur von Schirach schreibt dessen Enkel ein paar Zeilen, die in der Feststellung kulminieren, vielleicht sei er, Ferdinand von Schirach, “aus Wut und Scham über seine Sätze und seine Taten der geworden, der ich bin.

Ich jedenfalls bin sehr dankbar für die Literatur Ferdinand von Schirachs und bin ganz bei ihm, wenn er gegen Ende des Buches schreibt:

Wir suchen die Bücher, die für uns geschrieben sind.



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