Die Geschichte der Bienen, by Maja Lunde

Sie findet den Weg hinaus aus dem Flugloch, dreht eine Runde vor dem Bienenkorb, ehe sie allmählich den Abstand zu ihrem Zuhause vergrößert. Aber noch ist sie nicht bereit.


Ein weiteres Mal läßt mich ein Buch recht ratlos zurück: “Die Geschichte der Bienen” von Maja Lunde ist zweifellos intelligent, kritisch und zutreffend. Am Ende – und immer, wenn es auch zwischendurch “menschelt” – ist es auch ein kraftvolles und berührendes Buch.

Leider sind die Längen zumindest am Anfang spürbar: Bemüht erzählt Lunde in drei Zeit- und Erzählebenen von der Geschichte der drei Protagonisten, ihrer Familien und ihrer jeweiligen Beziehung zu den Bienen.

William, im Jahr 1852, ist mäßig erfolgreicher Saatgutkaufmann und Naturforscher, der – so meint er zumindest – seiner Familie seine Leidenschaft für die Forschung geopfert hat und daran zerbricht.

George, der vermeintliche Realist mit großen Träumen, der als Imker in den ländlichen USA lebt und arbeitet:

»Ich liebe Star Wars. Deswegen bin ich noch lange kein Jedi geworden.«

Tao, die Getriebene, die die eine kurze Stunde, die sie mit ihrem einzigen Sohn, Wei-Wen, am Tag verbringen kann, dafür nutzen möchte, diesem eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Vielleicht tut sie auch zuviel des Guten; vielleicht tut ihr Mann, Kuan, auch zu wenig desselben – es muß offen bleiben:

Wir haben viele Stunden, da können wir einiges schaffen. Ich würde ihm so gern das Zählen beibringen«, erklärte ich.

Sicher ist nur: Wei-Wen ist der Schlüssel zur persönlichen Geschichte Taos und Kuans sowie auch zur übergreifenden Handlung.

Etwa die Hälfte des Buches wird aufgewandt, die Protangonisten, William, George und Tao, und deren höchst unterschiedliche Charaktere haarfein zu beleuchten. Hier ist es auch, wo ich deutliche Längen gespürt habe – das Buch “zieht sich”.

Allerdings auf unbestritten hohem Niveau – nie wird die Charakterisierung plump oder platt. Das Mißfallen, der sprichwörtliche “Kloß im Hals” auf eine vermeintlich schlechte Nachricht hin wird “traditionell” behandelt und verarbeitet:

Ich warf einen ordentlichen Speichelklumpen aus, und die Fliege verschwand, ich sah nicht, wohin, wollte ihren Weg aber auch nicht weiter verfolgen.

Auf diese eher indirekte Weise werden Denken und Handeln der Personen glaubwürdig und lebensecht. Das ist zweifellos ein großes Verdienst und erhöht die Wucht des machtvollen Endes.


Auch ein leiser, feiner Humor findet sich an vielen Stellen des Buches und ich fühlte mich auch immer mal wieder erinnert:

In mir kribbelte es vor Erwartung, denn jetzt ging es los, endlich ging es los. »Es gibt Essen!« Thildas Stimme zerschnitt das Summen der Insekten und schlug die Vögel in die Flucht.


Andererseits aber leidet das Buch zeit- bzw. zeilenweise an “Kalenderspruch-itis”:

Ich hatte geglaubt, mich entscheiden zu müssen, aber ich konnte beides in Einklang bringen, das Leben und die Leidenschaft.

Dieses Motiv wurde so oft verwandt, daß es sich mittlerweile vorwiegend klischeehaft oder – sofern intendiert – selbstironisch liest. Eine ernsthafte Verwendung wie hier – nein, das kommt deutlich zu spät.


Dennoch: Nach etwa der Hälfte des Buches wird direkter und unmittelbarer erzählt. Es wird vielleicht ein bißchen weniger reflexiv, dafür aber lebendiger, zeitweise wirklich mitreißend und spannend, teils interessant und sprachlich ausgesprochen schön und fließend.

Menschlich glaubwürdige Dialoge zeigen die Befindlichkeiten; auch im beinahe Banalen spiegelt sich Nähe wider:

Er feixte. »Lass mal hören, Papa. Wie ist das mit den Bienen und Blumen?« Ich lachte. Er auch. Das wärmte.


Leider bleibt es nicht immer beim Indirekten, bei der Kritik ohne den erhobenen Zeigefinger; manchmal, so muß man vermuten, meint Lunde auf uns “grobe Klötze” Leser mit dem “groben Keil” Moral direkt einhämmern zu müssen.

Sie wird dann belehrend und moralisierend, was diesem Buch nicht gerecht wird:

Er sah mich nicht an, redete einfach nur weiter, hob seine Stimme. »Du wirst auch wieder einen Kollaps erleben. Es wird wieder passieren.« Jetzt sprach er laut. »Die Bienen sterben, Papa. Und nur wir können etwas dagegen unternehmen.« Ich drehte mich zu ihm. So hatte ich ihn noch nie reden hören, ich versuchte mich an einem Lächeln, das zu einer schiefen Grimasse geriet. »Wir? Du und ich.« Er lächelte nicht, schien aber auch nicht wütend zu sein. Er war todernst. »Wir, die Menschen. Wir müssen etwas ändern. Darüber habe ich doch gesprochen, als wir in Maine waren. Wir dürfen dieses System nicht unterstützen. Wir müssen etwas ändern, ehe es zu spät ist.«

Ja, sicher, wir müssen etwas ändern, aber nicht demonstratives Aufbegehren oder – noch drastischer formuliert – Aufwiegelung wird da helfen. Die weitgehende Finesse eines Romans wie dieses jedoch schon eher.

Insbesondere dann, wenn die drei Erzählstränge des Romans am Ende miteinander verknüpft werden und das Schicksal der Menschheit anhand des Lebens dreier Menschen (oder eines Menschen, wie man es nimmt) erzählt wird.

Da nimmt das “Schicksal” massiv seinen Lauf und man gibt sich, vielleicht auch nur für einen Moment, der Hoffnung wider besseres Wissen hin, um wenigstens einen Moment länger (wieder) zu glauben, alles werde gut. Wird es nicht; für niemanden in keiner Zeitebene:

Da beugte er den Kopf vor, sein Gesicht zersprang, es löste sich gleichsam vor mir auf. Er stieß drei tiefe Schluchzer aus. Sein Körper brodelte unter meiner Hand.

Hier am Ende brilliert Lunde sprachlich wie erzählerisch und spielt ihre Stärke aus: Sie spielt mit unglaublichen Formulierungen. Tief bewegend und authentisch.


Am Ende bleibt ein wenig Hoffnung…

Wir drehten uns zum Bienenstock um, und so blieben wir Seite an Seite stehen und betrachteten ihn. Unsere Hände waren sich ganz nahe, aber keiner nahm die des anderen, wir waren wie zwei Teenager, die sich nicht trauten. Die Wärme zwischen uns war wieder da.

… individuell in allen Zeiten…


»Es war nicht deine Schuld, Tao. Es war nicht deine Schuld.«

… wie auch global für die Menschheit.


Genau das ist der Verdienst Lundes: Sie zeigt im Kleinen und auf der persönlichen Ebene die Gefahr, die Tragik, aber auch die verbleibende Hoffnung und Liebe auf, die uns alle, als Menschheit, bleibt und letztlich hoffentlich eint.

Wäre Lunde dies etwas kürzer und prägnanter gelungen, so wäre ich auf jeden Fall bei vier Sternen; so bleibt es bei dreien und der etwas vagen und bangen Frage, ob das Ende ohne die lange Einleitung in der vorliegenden Form funktioniert hätte.

Was meinst Du dazu?




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