Winteraustern (Luc Verlain #3), von Alexander Oetker
Winteraustern von Alexander Oetker
My rating: 4 of 5 stars
Schon seit Jahrzehnten habe ich eine Schwäche für Frankreich.
Allerdings ist mein Französisch doch inzwischen sehr, sehr “eingerostet”, so daß eine Kommunikation auch stark von Gestik und Mimik abhängt. Insofern bin ich immer dankbar, wenn man sich – meist lachend – auf halbem Wege entgegen kommt.
Andererseits aber verbindet Deutschland und Frankreich nach Jahrhunderten der (milde ausgedrückt) Rivalität eine im Vergleich dazu noch junge Freundschaft.
Nimmt man dazu noch Verdun, Izieu, Lyon und all die anderen Gräuel, die Deutschland, mein Land, seinem Nachbarn Frankreich angetan hat, so ist es keine Selbstverständlichkeit, daß meine Familie und ich immer mit offenen Armen empfangen wurden.
Insofern sei auch geschrieben, was ich sonst nur beim Überqueren der Grenze ausrufe: “Vive la France!”
Seit einigen Jahren bereits nimmt ein interessanter Trend zu: Ausgerechnet deutsche Autoren wie Jörg “Commissaire Dupin” Bong (unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec) oder eben, wie hier, Alexander Oetker, schreiben über Frankreich. Vielleicht ist dies auch Martin Walkers erfolgreicher Bruno-Reihe zu verdanken; auf jeden Fall aber komme ich nicht umhin, diese Bücher zumindest mal probehalber “anzulesen”.
Oetker, um dessen bereits drittes Buch um seinen Commissaire Luc Verlain es hier geht, siedelt diesen in der Aquitaine (deutsch: Aquitanien) im äußersten Südwesten Frankreichs an. Hier lebt und arbeitet der frühere Star-Polizist von Paris aufgrund der Krebserkrankung seines Vaters und löste in den ersten beiden Büchern, “Retour: Luc Verlains erster Fall” und “Château Mort: Luc Verlains zweiter Fall”, bereits mehrere Fälle mit Intelligenz, Empathie und Menschlichkeit – eine Mischung, die mich sofort angesprochen hat.
Auch im vorliegenden Buch, das – eher untypisch für Frankreich-Krimis – im Winter spielt, gelingt es Oetker, eine interessante Geschichte um Austernfischer, eine “Bürgerwehr” sowie zwei Morde zu erzählen, dabei auch der Beziehung zwischen Verlain und seiner Freundin Anouk hinreichend Raum zu verschaffen, ohne aber die Spannung zu vernachlässigen.
So gern ich auch “Winteraustern” gelesen habe, so bleibt davon aber leider nicht viel zurück, denn auch wenn Oetker immer mal wieder zaghaft versucht, Sozial- und Gesellschaftskritik (z. B. über die unsäglichen Zustände in den Pariser Banlieue) unterzubringen: Viel Substanz haben seine durchaus unterhaltsamen Krimis nicht.
Verlain selbst wird von Oetker noch mit Charakter ausgestattet, aber das Talent reicht wohl nicht, um auch die Nebenfiguren noch lebensecht und glaubwürdig zu gestalten. Anouk (die harte Kickbox-Polizistin mit dem weichen Kern), Yacine (böser Vorstadt-Kleinkrimineller, dessen Leben durch die Begegnung mit Verlain zum Guten gewendet wurde), Etxeberria (der Ex-Trinker-flic und Vorzeige-Baske) – sie alle bleiben schemenhaft, klischeehaft und können nicht wirklich überzeugen.
Womöglich ist dies aber auch unausweichlich, wenn man eigentlich sein gesamtes Erwachsenenleben (Oetker ist Jahrgang 1982) für die Mediengruppe RTL gearbeitet hat…
Was bleibt, sind ein paar Stunden angenehmer Leseunterhaltung mit einem sympathischen Commissaire, ein Augenrollen wegen der allerletzten Seiten und – bei aller Kritik – wohlmeinende vier Sterne, die eigentlich drei sein müßten…
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