Ich bleibe hier, von Marco Balzano
Ich bleibe hier, von Marco Balzano
Es ist keine 24 Stunden her, als ich tief seufzend neben meiner Frau ins Bett sank und mein Schicksal beklagte, schon wieder ein… komisches… Buch zu lesen. “Über Südtirol”, sagte ich und meine Frau antwortete, “Oh, nein, Südtirol – Faschismus und Nationalsozialismus, lies doch etwas Leichteres…”
Sie hatte – wie (fast) immer Recht – und Unrecht zugleich. Ja, die Geschichte ist nicht leicht verdaulich: Trina, eine zu Beginn des Romans junge deutschsprachige Lehrerin, lebt im inzwischen buchstäblich untergegangenen Alt-Graun, einem kleinen bäuerlich-geprägten Dorf mit ihrem Ehemann Erich.
Trina durchlebt die Italianisierung (also die versuchte Ausmerzung alles deutschsprachigen und des altösterreichischen Charakters) durch den Faschismus, auf- und überlebt Aufstieg und Fall des deutschen Nationalsozialismus und bleibt in ihrem Dorf, obschon die persönlichen Verluste ihrer Familie ans Unerträgliche grenzen.
Schlußendlich weichen Trina und Erich doch der Gewalt; diesmal derjenigen der Unternehmen, denn die damalige Firma Montecatini überflutet Alt-Graun im Rahmen eines wenig sinnvollen Staudamm-Projektes. (Übrigens hat die heutige Edison S.p.A., Rechtsnachfolgerin von Montecatini, sich dem Autor völlig verweigert…)
Von alldem erzählt Balzano mit großer Empathie, mit Behutsamkeit und Vorsicht. Er verurteilt nicht, sondern beschäftigt sich mit einem Stück Geschichte, über das ich fiel las, auf einer enorm persönlichen Ebene. Wüßte man es nicht besser – Balzano wurde 1978 geboren – so möchte man meinen, er sei dabei gewesen. Als habe er Trinas Verlust der Tochter, des Sohnes, der Heimat und letztlich noch ihres Mannes als mitfühlender Augenzeuge erlebt und ganz schlicht diese Geschichte empfindsam niedergeschrieben.
Nichts ist wirklich leicht an diesem Buch – außer vielleicht der ruhigen Sprache, die unzweideutig erkennen läßt, wem die Sympathie des Autors gehört. Diese Sprache erzählt unaufgeregt und eindringlich von Trina, die wiederum als Ich-Erzählerin ihrer verlorenen Tochter Marica ihr Leben erzählt.
Doch genau das ist wohl der große Verdienst dieses nicht allzu langen Buches – 275 Seiten weist die Print-Ausgabe auf: Die tragische Geschichte eines “ertrinkenden” Tals in Südtirol zwischen Faschismus und Nationalsozialismus auf einer zutiefst persönlichen Ebene “anfaßbar” und “erlebbar” zu machen.
Selbst wer so gar nichts mit Politik, Krieg und Geschichte “am Hut” haben mag, dafür aber ein offenes Herz, der wird sich diesem Buch letztlich nicht entziehen können.
Da fallen ein paar “Längen”, die nicht von der Hand zu weisen und verantwortlich für meinen eingangs geschilderten Seufzer sind, letzten Endes nicht ins Gewicht.
Es bleibt ein eindringliches Bild auf dem Cover: Der denkmalgeschützte Kirchtum von Alt-Graun, der sich über die Fluten erhebt. Darunter liegt eine Geschichte, die Balzano gekonnt und lesenswert auferstehen läßt.
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