Die “Junge Frau” ist ein leises und berührendes Buch, ohne jemals ins Sentimentale abzugleiten. Es liest sich schnell, leicht und locker, ohne es an Empathie für seine Protagonistinnen mangeln zu lassen oder das teils tragische Schicksal zu banalisieren.
In zwei Erzählungssträngen erzählt Schröder die Geschichte von vier (eigentlich fünf) Frauen einer Familie: Zunächst ist da Senta Köhler, geboren im beginnenden 20. Jahrhundert, die ungewollt von einem “feschen” Fliegerheld des Ersten Weltkriegs, Ulrich, schwanger wird. Senta bekommt das Kind, leidet aber vermutlich an postnatalen Depressionen; die Ehe zerbricht, das Kind, Evelyn, bleibt beim Vater. Senta geht nach Berlin zu ihrer Freundin Lotte.
Im Berlin der 20er und 30er Jahre sind Frauen wie Senta und Lotte – selbständig, selbstbewußt und frei vom Antisemitismus der Zeit – eine Seltenheit. Senta heiratet letztlich in Berlin einen jüdischen Reporter, Julius Goldmann.
Ruhig und um so bedrückender erzählt Schröder von den zunehmenden Schikanen nicht nur durch die Nazi-Machthaber, sondern auch von Profiteuren der Diskriminierung. Können Senta und Julius letztlich fliehen, so werden doch Julius’ Eltern letztlich in Treblinka ermordet.
Es ist selten, daß es einer Autorin so scheinbar einfach gelingt, vom Schicksal Einzelner im Holocaust gleichzeitig so eindringlich und doch unaufgeregt und unaufdringlich zu erzählen. Evelyn, Sentas Tochter, wächst derweil bei ihrer Tante Trude, Ulrichs Schwester, auf. Trude wird zur überzeugten Nationalsozialistin, die in einem “Delirium aus Hass, Angst, Enttäuschung und Wut” lebt und letztlich stirbt.
Gerade die Geschichte um Senta, die nie aufgibt, die anständig bleibt und die aufsteht und tut, was sie tun muß, gerade diese Geschichte hat mich sehr bewegt.
Im zweiten großen Handlungsstrang erleben wir, wie Hannah, Sentas Urenkelin, ihrer Familiengeschichte durch Zufall gewahr wird. Hannah ist Evelyns (wir erinnern uns: Sentas “verlorene” Tochter) Enkelin und besucht diese hochbetagte alte Dame und Seniorenheim und findet dort den Brief einer israelischen Anwaltskanzlei, die die Suche der verlorenen Familie in Gang bringt. Schröder schreibt Hannah zu einer wunderbar modernen und glaubwürdigen jungen Frau, die es ihrerseits nicht leicht hat: Eine Affäre mit ihrem Doktorvater, eine Promotion, an der sie kein wirkliches Interesse hat und keine Zukunftsperspektiven in Sicht.
Nur die greise Großmutter ist von der Familie noch gegenwärtig: Der Vater ist seit der Einschulung fort. Die esoterisch angehauchte Mutter Silvia, die vor zehn Jahren an Krebs starb, weil sich der nun einmal nicht mit Zuckerkügelchen (“Globuli”) heilen läßt. Silvia, die aber auch schon vor ihrem Tod oft durch Abwesenheit – physische wie emotionale – “glänzte”, weil sie es wiederum von Evelyn nicht anders kannte.
All das ist kein leichtes “Erbe”, aber mit zunehmendem Verständnis für die komplizierten Familienverhältnisse der Vergangenheit wächst Hannah und es tun sich durch Begegnungen, unter anderem mit Rubi, der Enkelin eines weiteren Zeitzeugen, ungeahnte Wege für die Zukunft auf.
Das Buch endet offen und doch voller Hoffnung. Mir wiederum bleibt nur zu hoffen, daß Alena Schröder noch mehr zu erzählen hat. Volle fünf Sterne für dieses unsentimentale, aber dafür um so bewegendere Buch.