Luzies Erbe, von Helga Bürster

Luzies Erbe by Helga Bürster

My rating: 3 of 5 stars


Ich sinniere nun schon ein paar Tage über dieses Buch und die Rezension, die es verdient. Helga Bürster, so erfuhr ich aus dem Nachwort, hat die Geschichte ihrer Großeltern erzählt.

Das hat selbstverständlich seinen individuellen Wert, aber es sind so viele Bücher und Geschichten über die persönlichen Schicksale von Zwangsarbeitern auf dem Land geschrieben worden. Auch solche, in denen solche verbotenen Beziehungen geschildert werden, habe ich gelesen – obschon selten Kinder entstanden und die meisten dieser Beziehung tragisch endeten…

Ist also diese eine Geschichte so besonders, so anders oder so erzählenswert? Ist Bürster eine so große Schriftstellerin, dass mich ihre Geschichte besonders ansprechen oder gar bewegen würde (oder müsste)?

Der Verlag schreibt:

“Helga Bürster erzählt wunderbar leicht und dabei doch tief bewegend davon, wie ein Schicksal die Jahrzehnte überdauert, wie das Schweigen über die Vergangenheit eine Familie überschattet. Sie erzählt von vier Generationen starker Frauen – und davon, dass es für Versöhnung nie zu spät ist.”

Ja, Bürster schreibt leicht, aber leider nicht besonders beeindruckend. Es lassen sich auch keine besonderen Erkenntnisse daraus ableiten:

»Johanne hatte nie viel von Urnenbegräbnissen gehalten. Der klägliche Rest, der da in die Erde gesenkt wurde, das hatte nichts mehr mit dem Menschen zu tun. Leo hatte sie mit seinen schlichten Sätzen jedoch zum Umdenken gebracht. Also stellte sie auch für sich fest:
»Es ist in Ordnung.«
»Ja. Das ist es.«
«

Es liest sich also leicht und schnell weg, dieses Büchlein. Allerdings wird das oft, fast mantra-artig, wiederholte “Mazur’sche Schweigen” hochstilisiert zu etwas ganz eigenem – das ist es aber nicht: In der jungen Bundesrepublik gab es viele, die aus gutem Grund schwiegen, wegsahen und die eigene Verstrickung oder zumindest das Mitläufertum unter den Teppich kehren wollten. Andere wiederum schämten sich und schwiegen deshalb.

Es war also durchaus schon ein kollektives Schweigen, gegen das dann u. a. Ende der 60er aufbegehrt wurde – “Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren” u. ä.

Aber auch das individuelle Schweigen, wie es die Familie Mazur betrieb, ist nichts außergewöhnliches – zumindest meine Generation kennt dieses Schweigen noch, war “Empfänger” dieses Schweigens. Meine Großmutter (geboren 1901 in Bremen) hat auch Zeit ihres Lebens geschwiegen, weil sie sich schämte, nicht mehr getan zu haben (zumindest ist sie, wie Zeitzeugen mir zu berichten wußten, “anständig geblieben”). Im Gegensatz zu Bürster habe ich nie versucht, dieses Schweigen zu durchbrechen und die klaffenden Lücken mit Worten zu füllen. Das bedaure ich.

Luzies Erbe ist also relativ dürr und sie selbst trägt in der Gegenwart nicht viel zur Aufklärung bei. In der Vergangenheit, in den letzten Kriegsjahren, begleiten wir sie, Jurek, ihre große Liebe, ihre Eltern und die Dorfgemeinschaft ein Stück weit und auch hier las ich viel, das ich wusste, kannte und schon häufig gelesen hatte.

Auch von und über Jurek erfahren wir leider nicht viel – Johanne, Bürsters alter ego kommt zu spät: Jurek versinkt bereits in der Demenz und weiß nichts mehr zu berichten. Ja, als Leser versteht man grob, warum Jurek ging. Viele Fragen – auch, warum Luzie ihn einfach gehen ließ – bleiben offen.

Ich verstehe, dass Bürster wohl nah an der “erlebten Wahrheit” bleiben wollte, um dem “Mazur’schen Schweigen” eine Wahrheit entgegenzusetzen. Dennoch meine ich, dass es sehr verdienstvoll gewesen wäre, im Rahmen der Fiktionalisierung ein paar Antworten zumindest aktiv “anzudenken” und zu erzählen. Die Geschichte hätte dies zugelassen.

So bleibt es ein kurzes Schlaglicht auf die Familie Bürsters, ein Dorf bei Bremen und – ansatzweise – Schuld und Sühne. “Bewegen”, wie der Verlag es meint, oder gar mitreißen konnte mich die Geschichte leider nicht.

Vielleicht muss aber auch jede Generation gegen die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus, gegen das Vergessen und für die Erinnerung – gegen das Schweigen – anschreiben.

Vielleicht wird “Luzies Erbe” Früchte bei denen tragen, die noch nicht so viele Geschichten dieser Art gelesen haben. Der Geschichte – im mehrfachen Wortsinne -, der Autorin und diesem Buch wäre es zweifellos zu wünschen.

Drei von fünf Sternen von mir.


Ceterum censeo Putin esse delendam



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